Philippe Kenel

Die internationale Amtshilfe in Steuersachen nach dem 13. März 2009

erstattet von
Philippe Kenel, Doktor der Rechtswissenschaften, Rechtsanwalt in Lausanne, Genf und Brüssel, PYTHON

 

Rund sieben Jahre sind vergangen, seit der Bundesrat am 13. März 2009 entschieden hat, den Artikel 26 des OECD-Musterabkommens konsequent in neue oder neu zu verhandelnde Doppelbesteuerungsabkommen einfliessen zu lassen. Diese Zeitspanne erlaubt es jetzt, eine Analyse der Auswirkungen dieses Entscheides auf die Praxis anzustellen.

Die rechtlichen Bestimmungen zu dieser neuen Form der Zusammenarbeit finden sich im Bundesgesetz über die internationale Amtshilfe in Steuersachen (StAhiG) vom 28. Sep­tember 2012, in der Verordnung über die internationale Amtshilfe in Steuersachen (StAhiV) vom 20. August 2014 und in den verschiedenen von der Schweiz unterschriebenen Doppel­besteuerungsabkommen und Steuerinformationsabkommen.

Eine erste Auswirkung des Entscheides vom 13. März 2009 für die Schweiz ist, dass sie neu auf individuelle Amtshilfeersuchen eintreten muss. Gemäss Artikel 6 Absatz 2 des StAhiG muss ein Ersuchen eines ausländischen Staates unter Vorbehalt anderslautender Bestimmungen des anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommens folgende Angaben enthalten:

  1. die Identität der betroffenen Person, wobei diese Identifikation auch auf andere Weise als durch Angabe des Namens und der Adresse erfolgen kann;
  2. eine Beschreibung der verlangten Informationen sowie Angaben zur Form, in der der ersuchende Staat diese Informationen zu erhalten wünscht;
  3. den Steuerzweck, für den die Informationen verlangt werden;
  4. die Gründe zur Annahme, dass die verlangten Informationen sich im ersuchten Staat oder im Besitz oder unter der Kontrolle einer Informationsinhaberin oder eines Informationsinhabers befinden, die oder der im ersuchten Staat ansässig ist;
  5. den Namen und die Adresse der mutmasslichen Informationsinhaberin oder des mutmasslichen Informationsinhabers, soweit bekannt;
  6. die Erklärung, dass das Ersuchen den gesetzlichen und reglementarischen Vorgaben sowie der Verwaltungspraxis des ersuchenden Staates entspricht, sodass die ersuchende Behörde diese Informationen, wenn sie sich in ihrer Zuständigkeit befinden würden, in Anwendung ihres Rechts oder im ordentlichen Rahmen ihrer Verwaltungspraxis erhalten könnte;
  7. die Erklärung, die präzisiert, dass der ersuchende Staat die nach seinem innerstaatlichen Steuerverfahren üblichen Auskunftsquellen ausgeschöpft hat.

In weiser Voraussicht hat der Gesetzgeber in Artikel 7 des StAhiG vorgesehen, dass er nicht auf ein Ersuchen eintreten muss, wenn dieses zum Zweck der Beweisausforschung gestellt worden ist oder wenn es den Grundsatz von Treu und Glauben verletzt, insbesondere, wenn es auf Informationen beruht, die durch nach schweizerischem Recht strafbare Handlungen erlangt worden sind. Obwohl diese Bestimmungen klar ausschliessen, dass auf ein Ersuchen auf Basis von gestohlenen Daten eingegangen wird, müssen wir leider feststellen, dass der Bundesrat dies nicht konsequent so umsetzt. In einer Mitteilung vom 10. Juni 2016 empfiehlt er dem Parlament, die Praxis diesbezüglich zu lockern und auf ein Ersuchen lediglich dann nicht einzutreten, wenn dieses auf Informationen beruht, die der ersuchende Staat aktiv und ausserhalb eines Amtshilfeverfahrens durch nach schweizerischem Recht strafbare Handlungen erlangt hat. Diese Anpassung, die frühere Versprechen des Bundesrates in Frage stellt, wird vom Parlament abgelehnt, was richtig und wichtig ist.

Tatsächlich stellen wir fest, dass die Eidgenössische Steuerverwaltung sehr (zu?) schnell auf Amtshilfeersuchen eintritt. Das Bundesverwaltungsgericht zeigt sich in der Sache zwar eher restriktiv, das Bundesgericht hingegen verfolgt wieder eine sehr (zu?) grosszügige Praxis. In seinem Entscheid vom 24. September 2015 lässt sich diese Haltung unseres obersten Gerichtshofes klar erkennen. Demnach geht er davon aus, dass der ersuchende Staat, in diesem Fall Frankreich, die Grundsätze von Treu und Glauben respektiert und es diesem darum zusteht, über das Steuerdomizil der betroffenen Person zu entscheiden. Aus unserer Sicht öffnet eine solche Rechtsprechung allen unseren französischen Freunden und Nachbarn Tür und Tor für Missbrauch. Dies umso mehr vor dem Hintergrund, dass Frankreich seit dem 1. Januar 2013 – ohne jegliche rechtliche Grundlage – davon ausgeht, dass Personen, die nach dem Aufwand besteuert werden, nicht mehr vom französisch-schweizerischen Doppelbesteuerungsabkommen profitieren können und folglich auch nicht mehr von den darin enthaltenen Regeln zur Bestimmung des Steuerdomizils.

Grundsätzlich informiert die Eidgenössische Steuerverwaltung die betreffende Person über die wesentlichen Teile des Ersuchens. Artikel 21a des StAhiG sieht ausdrücklich vor, dass dies auch erst nach Übermittlung der Informationen geschehen kann, wenn die ersuchende Behörde glaubhaft macht, dass der Zweck der Amtshilfe und der Erfolg ihrer Untersuchung durch die vorgängige Information vereitelt würden.

Eine Beschwerde kann nur gegen die Schlussverfügung eingereicht werden.

Nach der Veröffentlichung des neuen Kommentars der OECD zum Artikel 26 des OECD-Musterabkommens am 17. Juli 2012 hat die Schweiz Artikel 14a in das StAhiG aufgenommen, der die Amtshilfe bei Gruppenersuchen regelt. In Artikel 3 Buchstabe c des StAhiG definiert der Gesetzgeber ein Gruppenersuchen als ein «Amtshilfeersuchen, mit welchen Informationen über mehrere Personen verlangt werden, die nach einem identischen Verhaltensmuster vorgegangen sind und anhand präziser Angaben identifizierbar sind». Der Bundesrat hat in Artikel 1 Absatz 1 der StAhiV präzisiert, dass solche Ersuchen nur zulässig sind «für Informationen über Sachverhalte, welche die Zeit seit dem 1. Februar 2013 betreffen».

Der Bundesrat wurde nicht müde zu betonen, dass die Gruppenamtshilfe nichts mit Beweisausforschung zu tun habe, und reichte die heisse Kartoffel so ans Parlament weiter. Leider lässt die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung eingenommene Position zu zwei Gruppenersuchen der Niederlande die Vermutung zu, dass einmal abgegebene Versprechen nicht für immer gültig sind. Glücklicherweise wird diese Haltung wenigstens durch das Bundesverwaltungsgericht etwas korrigiert.

Wir weisen darauf hin, dass in der Praxis für die Bestimmung des Steuerdomizils der betreffenden Person das Doppelbesteuerungsabkommen anzuwenden ist, das zwischen der Schweiz und dem entsprechend Land abgeschlossen wurde. Im Fall von Frankreich können individuelle Amtshilfeersuchen keinesfalls Konten betreffen, die vor dem 1. Januar 2010 aufgelöst wurden. Im Fall von Gruppenersuchen gilt, wie oben erwähnt, der 1. Februar 2013. Hingegen sind im Fall von Belgien nach wie vor die Bestimmungen von vor dem 13. März 2009 gültig, da das Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz von den belgischen Regionalparlamenten noch nicht ratifiziert wurde und damit auch noch nicht in Kraft getreten ist …

Abschliessend stellen wir fest, dass der Entscheid vom 13. März 2009 weiterreichende Folgen hatte als erwartet. Dazu beigetragen hat vor allem auch der Entscheid der OECD, Gruppenersuche zuzulassen. Trotzdem ist es wichtig, dass unsere Behörden und Gerichte diesem Umstand nicht noch durch eine zu lasche Praxis bei den Amtshilfegesuchen Vorschub leisten.