Philippe Kenel

 

Die internationale Amtshilfe in Steuersachen in der Praxis

 

Philippe Kenel, Doktor der Rechtswissenschaften, Rechtsanwalt in Lausanne, Genf und Brüssel, Python & Peter

 

Zur einheitlichen Umsetzung der Amtshilfe in Steuersachen auf Verfahrensebene hat das Schweizer Parlament am 28. September 2012 das Bundesgesetz über die Internationale Amtshilfe in Steuersachen (StAhiG) verabschiedet.

 

Die zuständige Behörde in der Schweiz ist die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV).

 

Die Amtshilfe muss den drei folgenden Prinzipien folgen: Erstens wird die Amtshilfe ausschliesslich auf Ersuchen gewährt, was den automatischen Austausch von Informationen und die spontane Amtshilfe ausschliesst – hingegen ist die gebündelte Amtshilfe vorgesehen –; zweitens muss das Amtshilfeverfahren mit Sorgfalt durchgeführt werden; schliesslich ist die Übertragung von Auskünften über Personen verboten, die offensichtlich nicht an der Angelegenheit beteiligt sind, die Gegenstand einer Untersuchung ist.

 

Enthält das im jeweiligen Fall anwendbare Doppelbesteuerungsabkommen keine Bestimmungen über den Inhalt eines Gesuchs und lässt sich aus dem Abkommen nichts anderes ableiten, so muss das Ersuchen folgende Angaben enthalten:

 

  1. Die Identität der betroffenen Person, wobei diese Identifikation auch auf andere Weise als durch Angabe des Namens und der Adresse erfolgen kann;
  2. Eine Beschreibung der verlangten Informationen sowie Angaben zur Form, in der der ersuchende Staat diese Informationen zu erhalten wünscht;
  3. Den Steuerzweck, für den die Informationen verlangt werden;
  4. Die Gründe zur Annahme, dass die verlangten Informationen sich in der Schweiz oder im Besitz oder unter der Kontrolle einer Informationsinhaberin oder eines Informationsinhabers befinden, die oder der in der Schweiz ansässig ist;
  5. Den Namen und die Adresse der mutmasslichen Informationsinhaberin oder des mutmasslichen Informationsinhabers, soweit bekannt;
  6. Die Erklärung, dass das Ersuchen den gesetzlichen und reglementarischen Vorgaben sowie der Verwaltungspraxis des ersuchenden Staates entspricht, sodass die ersuchende Behörde diese Informationen, wenn sie sich in ihrer Zuständigkeit befinden würden, in Anwendung ihres Rechts oder im ordentlichen Rahmen ihrer Verwaltungspraxis erhalten könnte;
  7. Die Erklärung, die präzisiert, dass der ersuchende Staat die nach seinem innerstaatlichen Steuerverfahren üblichen Auskunftsquellen ausgeschöpft hat.

 

Der Gesetzgeber hat ausdrücklich bestimmt, dass die ESTV nicht auf ein Ersuchen eintreten muss, insbesondere, wenn dieses zum Zweck der Beweisausforschung gestellt worden ist oder wenn es den Grundsatz von Treu und Glauben verletzt, insbesondere, wenn es auf Informationen beruht, die durch nach schweizerischem Recht strafbare Handlungen erlangt worden sind.

 

Zum Erhalt der Informationen kann die ESTV sich an die betroffene Person wenden (die Person, hinsichtlich derer die Informationen verlangt werden, die Gegenstand des Amtshilfeersuchens sind), wenn sie in der Schweiz beschränkt oder unbeschränkt steuerpflichtig ist, an die Informationsinhaberin oder den Informationsinhaber (die Person, die in der Schweiz im Besitz der verlangten Informationen ist), an die kantonalen Steuerverwaltungen oder an jede andere Schweizer Behörde auf Bundes-, Kantons- oder Gemeindeebene.

 

Die Informationen im Besitz einer Bank, eines anderen Finanzinstituts, eines Beauftragten, eines Generalbevollmächtigten oder eines Treuhänders beziehungsweise die Informationen bezüglich der Eigentumsrechte einer Person können nur verlangt werden, wenn das anwendbare Abkommen ihre Übermittlung vorsieht. Dies ist der Fall bei Artikel 26 Abs. 3 des OECD-Musterabkommens.

 

In bestimmten Fällen können Zwangsmassnahmen angeordnet werden.

 

Die ESTV ist verpflichtet, die betroffene Person über das Amtshilfeersuchen zu informieren sowie jegliche anderen Personen, von deren Beschwerdeberechtigung sie aufgrund der Akten ausgehen muss – es sei denn, die ausländische Behörde hat Geheimhaltungsgründe hinsichtlich des Verfahrens glaubhaft gemacht.

 

Wenn eine zu informierende Person ihren Wohnsitz in der Schweiz hat, so kontaktiert die ESTV diese direkt. Wenn sie hingegen im Ausland ansässig ist, ersucht die ESTV den Informationsinhaber oder die Informationsinhaberin, diese Person aufzufordern, in der Schweiz eine zur Zustellung bevollmächtigte Person zu bezeichnen. Es kann sich hierbei zum Beispiel um einen Rechtsanwalt handeln.

 

Bezüglich der Übermittlung der Informationen stehen den beschwerdeberechtigten Personen zwei Verfahren zur Verfügung: Erstens akzeptieren sie, indem sie der ESTV ihre unwiderrufliche Zustimmung zur Übermittlung der Informationen an die ersuchende Behörde erteilen, die Nutzung des vereinfachten Verfahrens; wenn dies nicht der Fall ist, wird die ESTV das ordentliche Verfahren anwenden, indem sie jeder beschwerdeberechtigten Person eine Schlussverfügung eröffnet, in der sie die Bewilligung der Amtshilfe begründet und den Umfang der zu übermittelnden Informationen präzisiert.

 

Das Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung der ESTV ist durch die Tatsache geprägt, dass nur die Schlussverfügung beschwerdefähig ist. Jegliche vorherige Entscheidung, einschliesslich einer Entscheidung in Bezug auf Zwangsmassnahmen, ist sofort vollstreckbar und kann nur gemeinsam mit der Schlussverfügung Gegenstand einer Beschwerde sein.

 

Sobald die Schlussverfügung oder die Entscheidung über die Beschwerde in Kraft getreten ist, übermittelt die ESTV die auszutauschenden Informationen an die ersuchende Behörde.