Philippe Kenel

Die fiskalischen Beziehungen zwischen Frankreich und der Schweiz: eine Bestandsaufnahme

 

Dr. iur. Philippe Kenel, Rechtsanwalt in Lausanne, Genf und Brüssel, Python & Peter

 

Neben der Frage der Amtshilfe und der Regularisierung der Vergangenheit wurden die Beziehungen zwischen Frankreich und der Schweiz im Steuerbereich in den letzten Jahren von zwei zentralen Fragen bestimmt: der Besteuerung von Erbschaften und der Anwendung des Abkommens vom 9. September 1966 zwischen der Schweiz und Frankreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Vermeidung von Steuerbetrug und Steuerflucht (im Folgenden: das Abkommen) auf Pauschalbesteuerte in der Schweiz. Erstere ist inzwischen abgehakt, während sich inzwischen die Diplomaten der beiden Länder und die französischen Gerichte mit Letzterer befassen.

 

Zum Verständnis der Frage der Besteuerung von Erbschaften muss man sich vor Augen halten, dass es den Ländern frei steht, die Kriterien zu wählen, anhand derer sie die Steuer erheben. Die überwiegend verwendeten Kriterien sind der Wohnsitz des Verstorbenen, der Wohnsitz des Erben oder der Ort, an dem die beweglichen Sachen oder Immobilien belegen sind. Die meisten Länder einschliesslich der Schweiz beschränken sich darauf, Erbschaften am Wohnsitz des Verstorbenen und an dem Ort zu besteuern, an dem Immobilien belegen sind.

 

Frankreich zeichnet sich dadurch aus, dass gemäss Artikel 750 ter des Code Général des Impôts (im Folgenden: CGI) mehrere Kriterien gelten und Steuern in den folgenden drei Fällen erhoben werden:

 

  1. Wenn eine in Frankreich ansässige Person verstirbt, besteuert der französische Staat das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen des Verstorbenen unabhängig davon, ob die Güter in Frankreich oder im Ausland belegen sind.
  2. Wenn eine nicht in Frankreich ansässige Person verstirbt und der Erbe in Frankreich ansässig ist und in den letzten zehn Jahren sechs Jahre lang dort ansässig war (wobei diese Kriterien gleichzeitig erfüllt sein müssen), besteuert unser Nachbar das gesamte in Frankreich und im Ausland belegene bewebliche und unbewegliche Vermögen, das dieser erbt.
  3. Wenn eine im Ausland ansässige Person verstirbt und kein Erbe in Frankreich ansässig ist und in den letzten zehn Jahren sechs Jahre lang dort ansässig war, besteuert der französische Staat alle in Frankreich belegenen beweglichen und unbeweglichen Güter.

 

In den ersten beiden der vorgenannten Fälle sieht Artikel 784 A CGI vor, dass die ausserhalb Frankreichs gezahlten Steuern gegebenenfalls von den in Frankreich zu entrichtenden Steuern abgezogen werden. Dieser Abzug ist jedoch auf Steuern beschränkt, die für ausserhalb Frankreichs belegene bewegliche und unbewegliche Güter entrichtet wurden.

 

Erbschaften zwischen Ehepartnern werden nicht besteuert. Im Falle der Vererbung in direkter Linie beträgt der Steuersatz 45 %, wenn der steuerpflichtige Nettobetrag 1'805'677.- EUR überschreitet.

 

Die Schweiz war viele Jahre lang nicht von Artikel 750 ter CGI betroffen, da das Abkommen vom 31. Dezember 1953 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Erbschaftssteuern vorsah, dass beim Versterben einer in der Schweiz ansässigen Person nur die Schweiz die Erbschaft besteuert, wobei nur im eigenen Namen gehaltene in Frankreich belegene Immobilien davon ausgenommen waren. Im Anschluss an eine Saga, in der der Bundesrat nicht geglänzt, das Parlament jedoch die Ehre der Schweiz gerettet hat, hat Frankreich das vorgenannte Abkommen aus dem Jahr 1953 per 31. Dezember 2014 gekündigt, ohne dass dieses durch ein neues Übereinkommen abgelöst wird.

 

Dies hat dazu geführt, dass Frankreich Artikel 750 ter CGI seit dem 1. Januar 2015 auf schweizerisch-französische Erbschaften anwendet. Daher empfehlen wir in der Schweiz ansässigen Personen, die nicht wollen, dass ihre Erben die französische Steuer zahlen müssen, alle in Frankreich belegenen beweglichen und unbeweglichen Güter (einschliesslich von Aktien und Anleihen) zu verkaufen und ihren Erben zu raten, Frankreich zu verlassen. Es genügt, dass diese in ein Land ziehen, das Erbschaften nicht nach dem Wohnsitz des Erben besteuert. Dies ist insbesondere in der Schweiz, in Belgien, Grossbritannien und Portugal der Fall, nicht jedoch in Spanien.

 

Die Regeln des Artikels 750 ter CGI gelten auch für Schenkungen. Dies war für Schenkungen zwischen Frankreich und der Schweiz schon immer der Fall, da es nie ein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den beiden Ländern über Schenkungen zu Lebzeiten gab.

 

Die Besteuerung der Pauschalbesteuerten basiert nicht auf ihrem Einkommen oder ihrem Vermögen sondern auf ihrem Aufwand. Dabei gilt, dass der Aufwand mindestens das Fünffache des Mietwertes ihrer Wohnstätte betragen muss. Diese Untergrenze erhöht sich für Neuankömmlinge ab dem 1. Januar 2016 und für vor dem 31. Dezember 2015 in der Schweiz angekommene Personen ab dem 1. Januar 2021 auf das Siebenfache des Mietwertes.

 

Die Problematik der Anwendung des Abkommens auf Pauschalbesteuerte lässt sich wie folgt zusammenfassen: Artikel 4 Abs. 6 Buchstabe b des Abkommens sieht vor, dass „eine natürliche Person, die in diesem Staat nur auf einer pauschalen Grundlage besteuert wird, die nach dem Mietwert der Wohnstätte oder der Wohnstätten bemessen wird, über die sie in diesem Staat verfügt“ im Sinne des Abkommens nicht als in einem Staat ansässig gilt. Im Jahr 1967 haben die schweizerischen und französischen Steuerverwaltungen im Rahmen eines einvernehmlichen Verfahrens das Konzept der „erhöhten Pauschale“ entwickelt. Dies bedeutet, dass die Steuerverwaltungen einen Pauschalbesteuerten als im Sinne des Abkommens steuerlich in der Schweiz ansässig behandeln, sofern er eine Erhöhung des der Besteuerung zugrunde gelegten Pauschalbetrags um ca. 30 Prozent akzeptiert. Am 26. Dezember 2012 hat die französische Direction générale des finances publiques einseitig beschlossen, dass diese Vereinbarung ab dem 1. Januar 2013 nicht mehr gilt.

  

Der Standpunkt der französischen Behörde ist in mehrerer Hinsicht falsch. Obwohl diese Frage umstritten ist, sind wir zunächst einmal der Ansicht, dass Frankreich nicht berechtigt war, eine seit mehr als 40 Jahren bestehende Vereinbarung einseitig zu beenden. Und wenn man davon ausgehen würde, dass die französische Steuerverwaltung die Vereinbarung einseitig beenden konnte, würde sich daraus ergeben, dass der vorgenannte Artikel 4 Abs. 6 Buchstabe b wörtlich anzuwenden wäre. Diese Bestimmung bezieht sich jedoch keinesfalls auf in der Schweiz Pauschalbesteuerte. Einerseits geht aus dem Wortlaut des Abkommens klar hervor, dass Personen, die auf einer pauschalen Grundlage besteuert werden, die nach dem Mietwert ihrer Wohnstätte oder Wohnstätten bemessen wird, aus seinem Anwendungsbereich ausgeschlossen sind. Die Pauschalbesteuerten werden jedoch nicht auf der Grundlage des Mietwertes ihrer Wohnstätte besteuert, sondern nach ihrem Aufwand. Der Mietwert wird nur zur Festlegung der Untergrenze des Aufwands herangezogen. Andererseits ergibt sich aus einer historischen Betrachtung der Verhandlungen zu Artikel 4 Abs. 6 Buchstabe b, dass sich diese Bestimmung absolut nicht auf die in der Schweiz Pauschalbesteuerten beziehen sollte. Der Bundesrat erwähnt dies an keiner Stelle. Dieser Artikel bezog sich auf in der Schweiz ansässige Personen, die eine Zweitwohnung in Frankreich hatten und dort auf der Grundlage des Mietwertes ihrer Immobilie pauschal besteuert wurden.

 

Unter diesen Umständen kann man sich fragen, warum die Schweizer Steuerverwaltung im Jahr 1967 das System der „erhöhten Pauschale“ akzeptiert hat. Unabhängig von der Antwort auf diese Frage ergibt sich aus dem Vorgenannten, dass Artikel 4 Abs. 6 Buchstabe b des Abkommens, der in der Schweiz Pauschalbesteuerte absolut nicht betrifft, wörtlich zur Anwendung käme, wenn die Schweiz die einseitige Beendigung dieser Vereinbarung akzeptiert. Daraus würde sich ergeben, dass das Abkommen für einen Pauschalbesteuerten selbst dann gilt, wenn er keine „erhöhte Pauschale“ zahlt!

  

Hier ist die Bedeutung der Anwendung des Abkommens auf Pauschalbesteuerte zu betonen. In der Tat ermöglicht ihnen die Anwendung des Abkommens nicht nur die vollständige oder teilweise Rückerstattung einer Reihe von Quellensteuern, sie führt insbesondere auch dazu, dass die Frage ihres Wohnsitzes anhand der Kriterien des Abkommens entschieden wird, d. h. im Wesentlichen auf der Grundlage des Mittelpunktes ihrer persönlichen Interessen, und nicht gemäss Artikel 4 B CGI, der insbesondere vorsieht, dass eine Person ihren Steuersitz in Frankreich hat, wenn der Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen Interessen dort liegt oder wenn sie dort eine Tätigkeit ausübt, bei der sie nicht nachweisen kann, dass diese akzessorisch ist.

 

Da der französische Standpunkt völlig falsch ist, ist es wichtig, dass die Schweiz ihrem Nachbarn gegenüber standhaft bleibt. Die einzige für uns akzeptable Position besteht darin, dass die Schweiz das System der „erhöhten Pauschale“ weiterhin anwendet, obwohl diese Praxis, wie wir vorstehend dargelegt haben, dem Wortlaut des Abkommens widerspricht. Es besteht jedoch die Gefahr, dass der Bundesrat den Kopf in den Sand steckt und die Sache den französischen Gerichten überlässt. Und deren Unabhängigkeit von der Regierung ist wohl bekannt...